Wiederaufforstung und Regionalentwicklung als langfristige Ziele
Interdisziplinäre Zusammenarbeit in südbrasilianischem Araukarien-Waldschutzgebiet

Seit September 1995 wird der interdisziplinär angelegte Tübinger Forschungsverbund "Pr≤-Araucßria" durch eine Anschubfinanzierung des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg gefördert. Erste Ergebnisse können nun vorgelegt werden.

Das Untersuchungsgebiet ist ein knapp 5.000 Hektar großes Waldschutzgebiet und dessen Umland in etwa 1.000 Metern Höhe an der Südspitze des brasilianischen Küstengebirges (Serro do Mar). Wesentlich mitgetragen wird das Projekt von der Partneruniversität Tübingens PUCRS in Porto. Die langfristigen Ziele der Forschungsarbeit in diesem Gebiet sind die naturnahe Wiederaufforstung der fast vollständig entwaldeten Hochflächen von Rio Grande do Sul und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bewohner dieser Region. Seit fünf Jahren schon sind Tübinger Wissenschaftler zusammen mit Kollegen aus Porto an der Arbeit; Anfang April 1996 wurde in dem Waldschutzgebiet der Neubau einer Forschungsstation eingeweiht. Dort sind jetzt Labors, ein Kursraum und Einrichtungen zur Unterbringung von Wissenschaftlern und Studentengruppen verfügbar.

Der Forschungsverbund will die Ökosysteme in diesem Waldschutzgebiet analysieren, um eine naturnahe Wiederaufforstung möglich zu machen und in Verbindung mit einer sozio-ökonomischen Diagnose Wege zur nachhaltigen Entwicklung dieser Region aufzuzeigen. Die ersten Forschungsergebnisse, die jetzt auf einem Symposion in Tübingen vorgestellt wurden, sind von 14 Arbeitsgruppen aus den Disziplinen Paläontologie, Hydrogeologie, Chemie, Botanik, Zoologie, Forstwirtschaft, Geographie, Wirtschaftswissenschaft und Tropenmedizin erarbeitet worden.

Paläontologie

Erste Befunde zur Geschichte der Araukarienwälder in den letzten 20.000 Jahren und der Klimaveränderungen während dieser Periode beruhen auf Analysen von Pollen und fossilen Resten von Pflanzen und Tieren in Bohrkernen von Bodenproben, die im Waldgebiet und auch in einigen dem Küstengebirge vorgelagerten Lagunen gezogen wurden. Die ersten Ergebnisse zeigen, daß die Region offenbar während der gesamten Zeit mit Araukarien bewachsen war. Die Spuren der Begleitpflanzen und Fossilien wirbelloser Tiere werden noch ausgewertet; mit Resultaten ist in einigen Monaten zu rechnen.

Hydrogeologie

Eine erste Wasserbilanz für das Waldschutzgebiet ergab überraschende Befunde. Typisch für Regenwaldgebiete sind zwar die Niederschlagsmengen von etwa 2.400 Millimetern pro Jahr. Allerdings fließt von der Hochfläche viel Wasser aufgrund der geringen Bodendecke rasch ab, so daß oftmals kein echter Wasserüberschuss gegeben ist.

Ökophysiologie und Chemie

Die Botaniker messen im Araukarienwald und auf Sukzessionsflaechen die Photosyntheseleistungen junger Araukarien. Zusammen mit Untersuchungen zur genetischen Variabilität der südbrasilianischen Araukarie, Araucaria angustifolia, liefern diese ökophysiologischen Untersuchungen wichtige Informationen für die geplanten Wiederaufforstungen. Für die Holzverwertung wichtig sind Bestimmungen des Ligningehaltes in Araukarienstämmen. Lignin verleiht dem Holz seine Festigkeit; im Gegensatz zu anderen Baumsorten war die genaue Zusammensetzung des Araukarien-Lignins bisher unbekannt. Die chemischen Arbeitsgruppen konnten nun aber hochauflösende Analyseverfahren für diese Stoffklasse ausarbeiten.

Zoologie

Studien zur Biodiversitaet einzelner Tiergruppen wurden von mehreren Arbeitsgruppen durchgeführt. So konnten im Waldschutzgebiet mindestens drei noch nicht beschriebene Froscharten gefunden werden. Die Insekten, insbesondere die Bienen, wurden vor allem im Hinblick auf ihre wichtige Rolle als Bestäuber vieler Pflanzen untersucht, die bei einer Regeneration des Araukarienwaldes unersetzlich ist. In einer ersten bodenbiologischen Studie wurde die Termiten als eine Schlüsselgruppe in tropischen Stoffkreisläufen untersucht. Sie sind in diesen südlichen Breiten offensichtlich nur mit wenigen Arten vertreten.

Forstwirtschaft

Konzepte zur Wiederaufforstung und nachhaltigen Nutzung der Araukarienwaelder stellte die Forstfachschule Rottenburg vor. Araukarien wurde in deutschen Baumärkten früher als "Brasilkiefer" vermarktet. Nach einer Standortkartierung sollen künftig Untersuchungen zu Möglichkeiten einer naturnahen Wiederaufforstung der grossflächig entwaldeten und zum Teil mit nicht einheimischen Kiefern in Monokultur bepflanzten Flächen im Vordergrund stehen. Für einen langfristig erfolgreichen und notwendigen Wiederaufbau einer holzverarbeitenden Industrie, bis vor wenigen Jahren einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Region, müssen solche Konzepte in enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden erarbeitet werden. Dazu gehört auch die Einrichtung von Schulungskursen in schonendem Waldbau.

Geographie

Ebenfalls mit dem Ziel, Möglichkeiten einer nachhaltigen Regionalentwicklung auszuloten, wurden von den Geographen Probleme des Tourismus und der Stadtentwicklung in der Region vorgestellt. Interessant war dabei der Rückblick auf die Siedlungsgeschichte im vergangenen Jahrhundert, als viele deutsche und italienische Kolonisten einwanderten und neben Gebieten mit Gaucho-Traditionen eigene Siedlungen gründeten. Bis heute sind entsprechende Einflüsse in der Wirtschaftsentwicklung der Gemeinden auf der südbrasilianischen Serra erkennbar. Aktuelle Konzepte zur Regionalentwicklung werden diese historischen Strukturen mitberücksichtigen müssen.

Wirtschaftswissenschaft

Eine Befragungsstudie brachte die Ursachen der Landflucht aus der Gemeinde Sπo Francisco de Paula ans Licht. Es ergab sich dabei, daß der Rückgang der Bevölkerung auf weniger als 50 Prozent vor allem in ländlichen Gebieten primär darauf zuruückzuführen sind, daß jungen Menschen keine guten Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, so daß sie in die nahegelegenen Städte abwandern.

Tropenmedizin

Die Epidemiologie von typischen Tropenkrankheiten war Gegenstand einer regionalen Feldstudie. Während viele der Krankheiten, die Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen, ihre Ursachen in unzureichender Hygiene haben (vor allem bei der Wasserversorgung), ließ sich für eine der wichtigsten Parasitosen in Südamerika, die Chagas-Krankheit, eine neue Überträgersituation aufzeigen. Chagas, eine Krankheit, die zur Verstopfung der Blutgefässe führt, wird durch Insekten, vor allem Raubwanzen, übertragen. Nach einer erfolgreichen Bekämpfung der Raubwanzen in Südbrasilien in den 80er Jahren macht sich Chagas jetzt wieder breit. Mit molekularbiologischen Methoden sollen nun die neuen Übertraeger identifiziert werden.

Als Bilanz des ersten Tübinger Araukarienwald-Symposiums kann festgestellt werden, daß der interdisziplinäre Forschungsansatz fruchtbar war. Die einzelnen Arbeitsgruppen sehen viele Anknüpfungspunkte für die gemeinsame Weiterarbeit. Dies soll künftig auch zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit Forschergruppen der Universitäten Bonn, Hohenheim, Konstanz, Stuttgart und Ulm führen. In allen Teilprojekten sind von der Konzeption dieses internationalen Kooperationsvorhabens her außerdem Studierende und Wissenschaftler der brasilianischen Partneruniversitäten beteiligt.

Weitere Informationen:

Dr. Klaus Hartfelder
Leiter der Tuebinger Biologischen Forschungsstation in Porto Alegre
Zoologisches Institut der Universitaet Tuebingen
Tel. 07071-2975343
Fax 07071-296950.
Email: klaus.hartfelder@uni-tuebingen.de(klaus.hartfelder@uni-tuebingen.de)

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